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Oberst von Thaer: aus den Tagebuchnotizen vom 1. Oktober 1918
Furchtbar und entsetzlich! Es ist so! In der Tat! Als wir versammelt waren, trat Ludendorff in unsere Mitte, sein Gesicht von tiefstem Kummer erfüllt, bleich, aber mit hoch erhobenem Haupt. Eine wahrhaft schöne germanische Heldengestalt! Ich mußte an Siegfried denken mit der tödlichen Wunde im Rücken von Hagens Speer.
Er sagte ungefähr folgendes: Er sei verpflichtet, uns zu sagen, daß unsere militärische Lage furchtbar ernst sei. Täglich könne unsere Westfront durchbrochen werden. Er habe darüber in den letzten Tagen Sr.M. zu berichten gehabt. Zum 1. Mal sei der O.H.L. von Sr.M. bezw. vom Reichskanzler die Frage vorgelegt worden, was sie und das Heer noch zu leisten imstande seien. Er habe im Einvernehmen mit dem Generalfeldmarschall geantwortet: Die O.H.L. und das deutsche Heer seien am Ende; der Krieg sei nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr stehe die endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevor. Bulgarien sei abgefallen. Österreich und die Türkei, am Ende ihrer Kräfte, würden wohl bald folgen. Unsere eigene Armee sei leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen sei kein Verlaß mehr. Seit dem 8. 8. sei es rapide abwärts gegangen. Fortgesetzt erwiesen Truppenteile sich so unzuverlässig, daß sie beschleunigt aus der Front gezogen werden müßten. Würden sie von noch kampfwilligen Truppen abgelost, so würden diese mit dem Ruf `Streikbrecher' empfangen und aufgefordert, nicht mehr zu kämpfen. Er könne nicht mit Divisionen operieren, auf die kein Verlaß mehr sei.
So sei vorauszusehen, daß dem Feinde schon in nächster Zeit mit Hilfe der kampffreudigen Amerikaner ein großer Sieg, ein Durchbruch in ganz großem Stile gelingen werde, dann werde dieses Westheer den letzten Halt verlieren und in voller Auflösung zurückfluten über den Rhein und werde die Revolution nach Deutschland tragen.
Diese Katastrophe müsse unbedingt vermieden werden. Aus den angeführten Gründen dürfe man sich nun nicht mehr schlagen lassen. Deshalb habe die O.H.L. von Sr.M. und dem Kanzler gefordert daß ohne jeden Verzug der Antrag auf Herbeiführung eines Waffenstillstandes gestellt würde bei dem Präsidenten Wilson von Amerika zwecks Herbeifuhrung eines Friedens auf der Grundlage seiner 14 Punkte.
Er habe sich nie gescheut, von der Truppe Äußerstes zu verlangen. Aber nachdem er jetzt klar erkenne, daß die Fortsetzung des Krieges nutzlos sei, stehe er nun auf dem Standpunkte, daß schnellstens Schluß gemacht werden müsse, um nicht noch unnötigerweise gerade noch die tapfersten Leute zu opfern, die noch treu und kampffähig seien.
Es sei ein schrecklicher Augenblick für den Feldmarschall und für ihn gewesen, dieses Sr.M. und dem Kanzler melden zu müssen. Der letztere, Graf Hertling, habe in würdiger Weise Sr.M. erklärt, er müsse daraufhin sofort sein Amt niederlegen. Nach so vielen Jahren in Ehren könne und wolle er als alter Mann nicht sein Leben damit beschließen, daß er jetzt ein Gesuch um Waffenstillstand einreiche. Der Kaiser habe sein Abschiedsgesuch angenommen.
Exc. Ludendorff fügte hinzu: »Zur Zeit haben wir also keinen Kanzler. Wer es wird, steht noch aus. Ich habe aber S.M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, daß wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!«
Die Wirkung dieser Worte auf die Hörer war unbeschreiblich! Während L. sprach, hörte man leises Stöhnen und Schluchzen, vielen, wohl den meisten, liefen unwillkürlich die Tränen über die Backen. Ich stand links neben dem Generalintendanten Gen. v. Eisenhart. Unwillkürlich hatten wir uns an der Hand gefaßt. Ich habe die seine fast kaputtgedrückt.
Nach seinen letzten Worten neigte L. langsam das Haupt, machte kehrt und ging in sein anstoßendes Zimmer.
Da ich bei ihm für hinterher sowieso zum Vortrag gemeldet war, ging ich ihm gleich nach und - ihm ja seit so lange bekannt - umfaßte ich mit beiden Händen seinen rechten Oberarm, was ich unter anderen Umständen mir doch nicht erlaubt hätte, und sagte: »Excellenz, ist das denn Wahrheit? Ist das das letzte Wort? Wache oder träume ich? Das ist ja zu entsetzlich! Was soll nun werden?!«
Ich war völlig außer mir. Er blieb völlig ruhig und milde und sagte mir mit einem tieftraurigen Lächeln: »Leider Gottes ist es so, und ich sehe keinen anderen Ausweg.«





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