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  Zeitgeschichte: Zum Tod des Historikers Fritz Fischer
Aggressiver Charakter
Karlheinz Weißmann
Am 1. Dezember starb im Alter von 91 Jahren der Historiker Fritz Fischer. Ganz gleichgültig, wie man zu seinen Veröffentlichungen steht, Fischer hat ohne Zweifel das Geschichtsbild unseres Landes entscheidend mitbestimmt. In Jahrzehnten akademischer Lehrtätigkeit nahm er Einfluß auf viele Studenten, über hundert Dissertationen hat er betreut, seine Schüler besetzten seit den sechziger und siebziger Jahren wichtige Lehrstühle, seine Thesen zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts wurden Allgemeingut, sind vorgedrungen bis in das letzte Schulbuchlektorat.
Fischer wurde am 5. März 1908 im fränkischen Ludwigstadt geboren, nach dem Abitur ging er 1927 an die Universität Erlangen und nahm dort das Studium der Evangelischen Theologie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik auf. 1934 schloß er mit einer Promotion in Theologie ab, drei Jahre später legte er eine weitere Dissertation im Fach Geschichte vor. Bereits 1935 hatte Fischer als Anerkennung für die preisgekrönte theologische Arbeit seine Ernennung zum Privatdozenten an der Universität Berlin erhalten, 1939 folgte die Umhabilitierung für die Philosophische Fakultät.
Fischers Rolle im Dritten Reich wird für gewöhnlich mit einigen lapidaren Sätzen übergangen. So weit feststellbar, gehörte er weder zu den besonders Engagierten noch zur Opposition. Seine 1939 veröffentlichte Arbeit über Ludwig Nicolovius, einen Mann aus dem Umkreis der preußischen Reform, enthielt Wohlwollendes zu "naturhaften völkischen Bindungen" und denunziatorische Bemerkungen über einige Reaktionäre als "geborene Juden", aber kaum eine besonders profilierte Stellungnahme.
Nach dem Kriegsende, Militärdienst und Gefangenschaft konnte Fischer seine akademische Karriere fortsetzen. 1948 erhielt er die Berufung als Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Hervorgetreten ist er in der folgenden Zeit nur als Mitbegründer der "Kommission für Geschichte der politischen Parteien und des Parlamentarismus". Fischers "zweite Karriere" (Gregor Schöllgen) begann erst 1961, als der 53jährige das Buch "Griff nach der Weltmacht" veröffentlichte.
Das Aufsehen, das dieser Band erregte, war leicht zu erklären durch dessen zentrale These: Bereits seit 1911 – so Fischer – sei von der deutschen Führung auf einen Krieg hingearbeitet worden, und die annexionistischen "Kriegsziele" müßten als konsequente Folgerung der deutschen "Weltpolitik" in den Friedensjahren verstanden werden. Die Kontinuität in der sozialen Zusammensetzung der deutschen Führungsschicht und deren niemals aufgegebenen imperialen Absichten hätten auch nach dem Ende des Kaiserreichs eine fatale Fortsetzung dieser politischen Linie bis in die nationalsozialistische Ära verbürgt.
Zwar hat Fischer die Auffassung vom "Bündnis der Eliten" und der unseligen Weiterwirkung von "Machtstrukturen" erst später explizit formuliert, aber sie waren im "Griff nach der Weltmacht" doch schon angedeutet. Wenn ihm seine Gegner sofort "Superrevisionismus" (Gerhard Ritter) unterstellten, kann man ihnen eine gewisse Hellsichtigkeit nicht bestreiten.
Tatsächlich hatte Fischer Anfang und Mitte der sechziger Jahre fast die gesamte etablierte Historiographie gegen sich. Gerade Historiker wie Gerhard Ritter, Hans Rothfels oder Egmont Zechlin, denen nichts ferner lag als eine Beschönigung der NS-Zeit, stellten doch klar, daß Bismarck von Hitler, das Kaiserreich vom Dritten Reich und der Erste vom Zweiten Weltkrieg deutlich unterschieden werden müßten, daß irgendwelchen Ahnenketten, die die deutsche Ursache für das Unheil der Welt bis zu Luther zurückverfolgten, unbedingt entgegenzutreten sei. Die Abwehr der "radikalen Umschulung" (Friedrich Meinecke) der Deutschen im Hinblick auf das Verständnis ihrer Vergangenheit, wie sie vor allem die Alliierten in der Nachkriegszeit gefordert hatten, war bis dahin durchaus erfolgreich gewesen.
Jetzt sah man sich plötzlich einem Angriff von unerwarteter Seite gegenüber: Ein deutscher Historiker bestätigte die Behauptung über den grundsätzlich aggressiven Charakter deutscher Politik im 20. Jahrhundert. Die Gruppe um Ritter schien bei dem sich anbahnenden Konflikt die bessere Ausgangsposition zu haben, vor allem besaß sie die Unterstützung der Institutionen. Man schonte Fischer nicht, der Ton verschärfte sich rasch.
Andererseits konnte Fischer, der selbst zu den "Alten" gehörte, als entscheidende Stärkung seiner Position betrachten, daß er zur Galionsfigur der "Jungen" geworden war, die ihre Universitätskarrieren fördern wollten mit einer publikumswirksamen querelle. Unübersehbar zeigte sich das auf dem Historikertag vom Oktober 1964, als die Anhänger und die Gegner der neuen Lehre aufeinandertrafen.
Die Zeit berichtete anschaulich von der Atmosphäre nach einem Vortrag Zechlins: "Das Auditorium ließ sich lieber die Verteidigungsreden Fischers und seiner Schüler gefallen, die zuweilen wie Parteiredner in einer Wahlversammlung wirkten: nicht ganz frei von Effekthascherei und Demagogie und voll des missionarischen Eifers." (Karl-Heinz Janßen)
Die "Fischer-Kontroverse" war nicht die erste große Auseinandersetzung unter Historikern in der Bundesrepublik, aber es war die erste, die öffentliches Aufsehen erregte. Wie tiefe Wunden dabei geschlagen wurden, konnte man an den ehrabschneidenden Äußerungen Fischers anläßlich des Todes von Ritter erkennen, als er meinte feststellen zu müssen, dieser sei bestimmt geblieben von "der Ablehnung des demokratischen Gedankens als Prinzip der Herrschaftsgewinnung" und nirgends habe bei ihm der "Gedanke von der Würde des Menschen, von der Heiligkeit der Verfassung, vom natürlichen Recht auf Kontrolle der Macht" Raum gefunden.
Fischer hat seinen alten Feind mehr als dreißig Jahre überlebt. In dieser Zeit führte ihn sein politischer Weg immer weiter nach links. Anders als Ritter wird er aber an prominenter Stelle nur ehrende Nachrufe erhalten. Selbst die bürgerlichen Blätter, die im Streit um den "Griff nach der Weltmacht" auf der Seite seiner Gegner zu finden waren, arrangierten sich mit ihm und seinen Auffassungen. Nur ungewollt wird noch ein Mißton hörbar, wenn einer den Historiker, dessen Ehre doch das sine ira et studio ausmacht, als "Fahnder" (Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau) apostrophiert.
 
Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat in Göttingen. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Der Nationale Sozialismus".





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