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  Die erste Marokko-Krise 1905/06

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Welt im kolonialen Wettlauf längst in die Einflußsphären europäischer Großmächte aufgeteilt. Das deutsche Kaiserreich hatte erst relativ spät mit einer geplanten und gesteuerten Kolonialpolitik begonnen und sich im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich mit vergleichsweise kleinen und unbedeutenden Gebieten in Afrika und im Fernen Osten begnügen müssen. Daher strebte es nach weiterem Gebietsgewinn und Vergrößerung des eigenen Einflusses. Dabei musste es zwangsläufig zu Konflikten mit anderen Großmächten wie Frankreich kommen, das ab 1904 mit der "friedlichen Durchdringung" Marokkos begonnen hatte, um seinen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Einfluß kontinuierlich zu steigern. Ermöglicht wurde dies durch einen Ausgleich mit Großbritannien über die Verteilung der afrikanischen Kolonialgebiete. In dieser sogenannten Entente Cordiale wurde Marokko der französischen Einflußsphäre zugeschlagen, Ägypten hingegen der britischen. Dies lief dem Ziel der deutschen Außenpolitik, Großbritannien aufgrund der scharfen Rivalität wegen des Flottenausbaus zu isolieren, entgegen.
Da das Deutsche Reich in der Annäherung der beiden Mächte eine für sich gefährliche und isolierende Konstellation erkannte, suchte es in Europa nach neuen Bündnispartnern. Die deutsche Regierung trat deshalb zur Errichtung eines Kontinentalbündnisses mehrfach an Rußland heran, allerdings ohne Erfolg. Rußland war bereits durch den "Zweibund" Bündnisverpflichtungen mit Frankreich eingegangen, die in Verbindung mit dem britisch-französischen Ausgleich faktisch auf eine "Einkreisung" Deutschlands hinausliefen. Deutschland ging daher dazu über, unmittelbaren Druck auf Frankreich auszuüben, um es von der Seite Großbritanniens zu lösen, indem es die Regelung der Marokko-Frage auf einer einzuberufenden internationalen Konferenz forderte. An territorialem Erwerb in Nordafrika war der deutsche Führung vorerst nicht gelegen. Sie nahm die Marokko-Frage lediglich zum Anlaß für eine mögliche Neuordnung der europäischen Mächtekonstellation.
Ende März 1905 gab Kaiser
Wilhelm II. dem Drängen von Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow nach und stattete dem Sultan von Marokko zu dessen diplomatischer Aufwertung einen Staatsbesuch in Tanger ab. Mit seiner dort abgegeben Erklärung über die Souveränität Marokkos demonstrierte der Kaiser, daß Frankreich nur mit Einbindung des deutschen Kaiserreichs seine Interessen in Nordafrika verfolgen könne. Das brüskierte Frankreich bot den Deutschen daraufhin im Mai 1905 eine Beilegung der kolonialen Streitigkeiten nach dem Muster der "Entente Cordiale" an. Deutschland hielt aber erfolgreich an seiner Forderung nach Einberufung einer internationalen Konferenz zur Marokko-Frage fest, die im Januar 1906 in Algeciras unter Beteiligung von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rußland, Amerika, Österreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, Schweden und den Niederlanden stattfand. Das Deutsche Reich hatte im Vorfeld der Konferenz den britisch-französischen Zusammenhalt und den großen Einfluß beider Länder auf die anderen Konferenzteilnehmer unterschätzt. In Algeciras war es mit seinem Bündnispartner Österreich-Ungarn isoliert und international erheblich an Reputation. Ergebnis der langwierigen Verhandlungen war die am 7. April 1906 unterzeichnete "Algeciras-Akte". Sie garantierte die Handelsfreiheit, sah aber die Schaffung internationaler Institutionen zur Kontrolle Marokkos vor, in denen Frankreich - sehr zum Verdruß Deutschlands - besonders stark repräsentiert war.


Die zweite Marokko-Krise 1911 ("Panther-Sprung nach Agadir")

Nach dem Ende der ersten Marokko-Krise durch die "Algeciras-Konferenz" von 1906 legten Frankreich und Deutschland auf einer weiteren Konferenz am 9. Februar 1909 die politische Vorrangstellung Frankreichs unter Anerkennung der Souveränität Marokkos bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Gleichberechtigung aller übrigen Mächte fest. Trotzdem gab es in der Folge besonders auf wirtschaftlichem Gebiet immer wieder Interessenkollisionen zwischen Frankreich und Deutschland, die 1911 einen Höhepunkt fanden. Auslöser für die Eskalation war die Besetzung der Festungen Fes und Rabat durch französische Truppen im Frühjahr 1911. Dies geschah auf Bitte des Frankreich freundlich eingestellten Sultans Mulay Hafid, der durch Aufstände von Berberstämmen in Bedrängnis geraten war. Frankreich nutzte daraufhin seine selbstgewählte Rolle als Schutzmacht für die in Marokko lebenden Europäer als Vorwand, um mit Truppen bis tief ins Landesinnere vorzudringen. Durch dieses Vorgehen, das einen Bruch der "Algeciras-Akte" und des deutsch-französischen Abkommens von 1909 darstellte, sah das Deutsche Reich seine ökonomische und politische Position im Land bedroht.
Der für die
Außenpolitik zuständige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Alfred von Kiderlen-Wächter, war jedoch bereit, Frankreich die Vorherrschaft über Marokko zu überlassen, sofern dieses als territoriale Kompensation das französische Kongogebiet an Deutschland abzutreten bereit wäre. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und Frankreich zu Verhandlungen zu zwingen, wurde auf Wächters Initiative am 1. Juli 1911 das deutsche Kanonenboot "Panther" als deutliche Drohgebärde in den Hafen des marokkanischen Agadir entsandt. Zwei Wochen später trug die deutsche der französischen Regierung die Forderung nach Abtretung von Französisch-Kongo offiziell vor, nachdem ein entsprechendes, aus Frankreich erwartetes Entgegenkommen ausgeblieben war. Dieser Vorstoß wurde in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend positiv aufgenommen und propagandistisch vor allem durch den Alldeutschen Verband und alle wichtigen Tageszeitungen massiv unterstützt, die dabei vor dem Erzeugen massiver Kriegsstimmung nicht zurückschreckten.
Allerdings wollte die deutsche Führung, allen voran Kaiser
Wilhelm II. und Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, das Risiko eines Kriegs vorerst nicht eingehen. Vielmehr gedachte sie Frankreich durch Drohgebärden zuerst an den Verhandlungstisch und dort dann zu den gewünschten Gebietsabtretungen zwingen zu können. Die deutsche Regierung war fest vom Gelingen ihrer Strategie überzeugt, so dass diplomatische Konsultationen mit anderen Mächten ausblieben. Besonders die fehlende Kontaktaufnahme mit Großbritannien sollte sich aber als schwerwiegender Fehler erweisen. Das durch die Entente Cordiale eng mit Frankreich verbundene und den deutschen Flottenausbau als Provokation empfindende Großbritannien schlug sich unmittelbar auf die Seite Frankreichs und beanstandete die deutschen Forderungen als maßlos überzogen sowie den eigenen Sicherheitsinteressen zuwiderlaufend.
In der Folgezeit machte die deutsche öffentliche Meinung Großbritannien für das Stocken der Verhandlungen mit Frankreich verantwortlich. Die Stimmen, die ein Präventivkrieg als einzigen Ausweg sahen, mehrten sich rasch, und sie gewannen an Einfluß. Sowohl im innersten Führungszirkel als auch in der Öffentlichkeit wurde Wilhelm II. zunehmend Feigheit vorgeworfen. Um einen Gesichtsverlust zu vermeiden, drohte das politisch weitgehend in Isolation geratene Deutschland immer unverhohlener mit Krieg. Auch die Entente Mächte arbeiteten bereits Pläne für den Ernstfall aus, der jedoch im letzten Augenblick auf diplomatischem Wege noch abgewendet werden konnte. Das Deutsche Reich mußte sich dabei mit einem recht mageren Kompromiß begnügen: In einem am 4. November 1911 in Berlin unterzeichneten Abkommen verzichtete es auf jeglichen politischen Einfluß in Marokko, konnte aber die Festschreibung einer weiterhin ungehinderten wirtschaftlichen Betätigung deutscher Unternehmen erzielen. Frankreich hatte damit ein quasi Protektorat über Marokko inne, mußte jedoch im Gegenzug einen Teil des Kongo an Deutschland abtreten, wofür es aber wiederum Gebiete aus deutschem Kolonialbesitz in Togo und Kamerun erhielt.




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