Paul Achatius Pfizer * : Politische Freiheit und Nationalität (1832)
Freiheit im Innern und Unabhängigkeit nach außen oder persönliche Freiheit und Nationalität sind die beiden Pole, nach denen alles Leben des Jahrhunderts strömt, und die französische Nation ist die erste Nation der Welt geworden, weil sie diese beiden Grundrichtungen der Gegenwart am reinsten in sich aufgenommen hat, in ihrer Unzertrennlichkeit am kräftigsten und entschiedensten der Welt vor Augen stellt. Nachdem Jahrhunderte lang alle Rechte der Völker in dem Recht und der Persönlichkeit der Fürsten aufgegangen, hat man sich endlich überzeugt, daß nicht die Völker um der Fürsten, sondern die Fürsten um der Völker willen vorhanden sind, und daß die Völker selbst auch Rechte besitzen, welche von der Person des sie regierenden Monarchen unabhängig bleiben. Nach früheren Begriffen war der Landesherr im eigentlichen Sinne Herr und Eigentümer von Land und Leuten, er vertauschte, verkaufte, verpfändete sein Gebiet, und konnte so mit vollem Rechte von sich sagen: der Staat bin ich. Seitdem man aber zwischen Rechten der Fürsten und der Völker einen Unterschied macht und einsieht, daß vernünftigerweise das Wohl eines ganzen Landes oder Volkes dem Interesse eines Fürsten oder einer Familie vorgehen muß, ist das Prinzip der Nationalität in der europäischen Staatengeschichte zur Herrschaft gekommen. Die Nationen sind jetzt das geworden, was früher die Monarchien oder die Dynastien waren. (...) Die Nationalunterschiede werden nicht aufhören; aber Nationalität und persönliche Freiheit müssen forthin Hand in Hand gehen, und man sollte endlich anerkennen, daß die ganze Größe Frankreichs darin besteht, das Prinzip der inneren Freiheit in ihrer wesentlichen Einheit mit der äußeren darzustellen. Es wäre Zeit, daß man sich endlich einmal gestände und klar darüber würde, daß die Franzosen, die Führer und Leiter der Zivilisation, das tonangebende Volk in Europa nicht dadurch geworden sind, daß sie die Grundsätze der Freiheit bekennen und predigen, sondern dadurch, daß sie dieselben als Nation bekennen und mit dem ganzen Gewicht ihrer Nationalität unterstützen. Will daher Deutschland in die Schule der Franzosen gehen, so darf die Nachahmung nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Mit den bloßen Grundsätzen bürgerlicher Freiheit, so verdienstlich und notwendig ihre Verbreitung auch sein mag, ist Deutschland noch lange nicht geholfen. Mit allem Freiheitsdrang der einzelnen werden die Deutschen ewig eine armselige Rolle spielen, und ein mitleidiges Belächeln ihrer schwachen Gutmütigkeit wird im Ausland der ganze Lohn für ihren Enthusiasmus sein, solange sie nicht als Nation die Freiheit wollen. (...) Es ist freilich eine Torheit zu verlangen, daß die Deutschen die innere Freiheit ganz vergessen sollen, bis sie die äußere Unabhängigkeit gesichert haben; es ist aber ebenso verkehrt oder noch verkehrter, die letztere der ersteren aufopfern zu wollen. Beinahe wider Willen und gezwungen haben sich die Deutschen unter dem Drucke der Fremdherrschaft zu dem Gefühl der Nationalität und mit ihr zu dem Ruf nach bürgerlicher Freiheit aufgerafft. Aber auch sie haben, der Ungunst ihrer Verhältnisse zum Trotz, dem Zuge des Jahrhunderts in seiner Doppelrichtung folgen müssen. Auch Deutschland hat, vermöge der ihm eigenen hohen Empfänglichkeit, für alles, was die Brust der Menschheit bewegt, jenes Doppelstreben nach innerer und äußerer Freiheit nicht abwehren können. Nur ist es dem geteilten, zersplitterten und in sich zerfallenen Volke nicht geglückt, einen Führer zu finden, der diese beiden Tendenzen gleichmäßig befriedigt hätte. (Paul Achatius Pfizer. Politische Freiheit und Nationalität.1832. In: Zeiten und Menschen. Ausg. Q. Nationalstaat und Nationalismus im 19. Jahrhundert.. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1981, S. 25-27, gekürzt)
* P.A. Pfizer (1801 - 1867). Ein in Deutschland bekannter Politiker und Jurist; er war vorwiegend in Württemberg politisch tätig.
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