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Die Geburt Wilhelms II.Seite 3

Alle anwesenden Ärzte waren mit der Anwendung von Chloroform einverstanden, der, wie Augusta schrieb, vor allem Martin sehr zuneigte. Auch Clark befürwortete die Verabreichung, obwohl ihm die Gefahren nicht unbekannt waren. In seinem Bericht teilte er der Queen mit, daß ihm die bescheidene Aufgabe zugefallen sei, die Chloroformierung vorzunehmen. Wiederholt betonte er, wie sehr das Betäubungsmittel der Prinzessin geholfen habe, indem es ihre Schmerzen linderte und ihr ab und zu sogar etwas erfrischenden Schlaf ermöglichte.

Der Bericht Martins macht deutlich, daß der Mutter in der letzten kritischen Phase der Geburt außer Chloroform und Ipekacuanha noch eine weitere Substanz gereicht wurde. Da die Preßwehen nicht stark genug gewesen seien, schreibt er, habe er der Prinzessin gegen zwei Uhr mittags Secale cornutum (auch Ergot oder Mutterkorn genannt) gegeben, «wie ich solches unter gleichen Verhältnissen mit dem besten Erfolg stets gethan habe». Das Mittel sei «zu 10 gran 3 Mal» gereicht worden und habe auch den gewünschten Effekt erzielt, daß nämlich die Wehen nicht mehr so häufig und quälend, «aber desto kräftiger und austreibend» kamen.

In einer durch Chloroform herbeigeführten Vollnarkose gebar nun die Prinzessin ihr Kind. Der nach dreizehnstündiger Anstrengung völlig erschöpfte Prinz Friedrich Wilhelm schildert, wie er «Dr. Martin unter dem Flannell-Rock mit aller Kraft arbeiten sah». Wie schwer und gefährlich dieser Eingriff in der letzten Phase der Geburt war, geht aus Martins eigenem Bericht hervor.«So kam der Steiß um 2 ¾ Uhr Nachmittag aus den Geschlechtstheilen heraus, die Beine des Prinzen vor dessen Bauch und Brust emporgeschlagen. Als ich jetzt die Nabelschnur nur noch schwach und verlangsamt, ja aussetzend klopfen fühlte, wurde zur Sicherung der nunmehr nöthig gewordenen Operation eine stärkere Chloroformnarkose und damit die unerläßliche vollkommene Ruhe und Fühllosigkeit der hohen Kreissenden erzielt. Die emporgeschlagenen Beine des Prinzen hob ich vorsichtig heraus, und führte da sein Leben ernstlich bedroht war, sofort den nach hinten neben dem Kopf emporgestreckten [linken] Arm kunstmäßig obschon, wie bei den engen Geburtswegen erklärlich, nicht ohne erhebliche Anstrengung herab, drehte mittels desselben nach den erprobten Regeln der Kunst den Rumpf des Kindes und löste sodann den ebenfalls emporgeschlagenen rechten Arm und endlich den Kopf, indem ich nach Smellies weiser Regel das Gesicht nach hinten gegen die Kreuzbeinaushölung drehte und vorsichtig zu Tage förderte. Der Prinz war, wie der Nachlaß des Pulses in der Nabelschnur schon während der Steiß allein hervorgetrieben war, bekundet hatte im hohen Grade scheintodt, athmete aber nach den gewöhnlichen Belebungsmitteln bereits, bevor ich ihn zu dem bereitgehaltenen Bad brachte, und schlug die Augen auf.»

Auffallend ist, daß Martin in seinem sonst so exakten Bericht so gut wie nichts über den Zustand des Kindes mitteilt. Er hat sich, wie alle anderen Anwesenden, zunächst um die ohnmächtige Kronprinzessin gekümmert. Es war Fräulein Stahl, welche nach einiger Zeit mit Schrecken bemerkte, daß das Kind noch nicht einen Schrei von sich gegeben hatte. Sofort dachte sie, es sei totgeboren. Mit Martin zusammen arbeitete sie «an dem Neugeborenen herum, alle Mittel anwendend, die in medizinischen Büchern stehen oder von Hebammen angewendet werden, um das Kind zum Leben zu bringen». Wie sie sich später erinnerte, nahm sie schließlich «das junge Königskind unter meinen linken Arm» und, «ein nasses Handtuch in meiner rechten Hand zusammenfassend, fing ich an, ihn nach heimischer Sitte zu bearbeiten, obwohl die Ärzte murrten, und Jeder, der im Zimmer war, sich entsetzte». Sie hielt sich, da es um Leben und Tod ging, nicht an die Hofetikette, sondern schlug weiter zu, «bald sanfter, bald stärker, klapp, klapp, klapp», bis schließlich «zuletzt ein schwacher Schrei von den bleichen Lippen des Kindes kam». Sie hatte den Prinzen «vom Grabe gerettet, für das er bestimmt war», schrieb sie voller Stolz.

Diese nachträgliche Schilderung der Hebamme Stahl wird von den zeitgenössischen Quellen weitgehend bestätigt. Aus dem Brief Wegners an Queen Victoria erfahren wir, daß das Baby «bereits asphyctisch» war, als es endlich zur Welt kam. Fritz beschreibt, wie er, als er keinen Schrei von dem Neugeborenen vernahm, «halb bewußtlos» neben Vicky, die er stets im Arm hielt, hinsank. Die schlimmsten Befürchtungen des Vaters schienen durch den Tonfall Martins bestätigt, als dieser sagte, «es ist ein Prinz». Fritz schloß aus seiner Stimme, «daß es ein Bedauern war, daß dies noch außerdem hinzukäme», bis er auf einmal den Kleinen im Nebenzimmer schreien hörte. Fritz fährt fort: «Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr mich´s; Martin sagte ich möchte doch hin, Gfin Perponcher nahm Vicky in den Arm, u. nun wankte ich halb bewußtlos in´s Nebenzimmer wo der Kleine im Bade war, u. fiel ich zuerst Mama in die Arme, u. dann sank ich auf die Kniee. Wiederum schrie der Kleine, als er einige gewisse Schläge erhielt, und Alles rief, es sei vortrefflich, u. man versicherte mich er könne leben!» Nach den Schilderungen der Prinzessin Augusta glaubten zunächst auch alle im Nebenzimmer Wartenden, das Kind sei gestorben, als es «leblos», «beweglos und lautlos» in einem weißen Leinentuch hereingebracht wurde. Erst nach einigen belebenden Maßnahmen sei dann der erste Schrei ertönt - «der glücklichste, den man im Leben hören kann, worauf jemand rief, «es lebt und ist ein Prinz!»

 

Wilhelm II.

Wilhelm an seinem 10. Geburtstag.
Ein Handschuh soll den verkümmerten Arm optisch verlängern.

Hinweis: Text und Bild aus: John C.G. Röhl: Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859-1888. Verlag C.H. Beck. München


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