»Es ist heute eine scheene Witterung «
Hättest du, lieber Leser, den Ton gehört, den unübertrefflichen Fistelbaß, womit diese Worte gesprochen wurden, und sahest du gar den Sprecher selbst,
das erzprosaische Witwenkassengesicht, die stockgescheuten Äuglein, die aufgestülpt pfiffige Forschungsnase, so erkanntest du gleich, diese Blume ist
keinem gewöhnlichen Sande entsprossen, und diese
Töne sind die Sprache Charlottenburgs, wo man das
Berlinische noch besser spricht als in Berlin selbst.
Ich bin der höflichste Mensch von der Welt und
esse gern braune Karpfen und glaube zuweilen an
Auferstehung, und ich antwortete: »In der Tat, die
Witterung ist sehr scheene.«
Als der Sohn der Spree dermaßen geentert, ging er
erst recht derb auf mich ein, und ich konnte mich nimmermehr losreißen von seinen Fragen und Selbstbeantwortungen und absonderlich von seinen Parallelen
zwischen Berlin und München, dem neuen Athen,
dem er kein gutes Haar ließ.
Ich aber nahm das neue Athen sehr in Schutz, wie
ich denn immer den Ort zu loben pflege, wo ich mich
eben befinde. Daß solches diesmal auf Kosten Berlins
geschah, das wirst du mir gern verzeihen, lieber
Leser, wenn ich dir unterderhand gestehe, dergleichen
geschieht zumeist aus purer Politik; denn ich weiß,
sobald ich anfange, meine guten Berliner zu loben, so
hat mein Ruhm bei ihnen ein Ende, und sie zucken die
Achsel und flüstern einander zu: »Der Mensch wird
sehr seicht, uns sogar lobt er.« Keine Stadt hat nämlich weniger Lokalpatriotismus als Berlin. Tausend
miserable Schriftsteller haben Berlin schon in Prosa
und Versen gefeiert, und es hat in Berlin kein Hahn
danach gekräht, und kein Huhn ist ihnen dafür gekocht worden, und man hat sie Unter den Linden
immer noch für miserable Poeten gehalten, nach wie
vor. Dagegen hat man ebensowenig Notiz davon genommen, wenn irgendein Afterpoet etwa in Parabasen
auf Berlin losschalt. Wage es aber mal jemand, gegen
Polkwitz, Innsbruck, Schilda, Posen, Krähwinkel und
andre Hauptstädte etwas Anzügliches zu schreiben!
Wie würde sich der respektive Patriotismus dort
regen! Der Grund davon ist: Berlin ist gar keine
Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort dazu her, wo
sich eine Menge Menschen, und zwar darunter viele
Menschen von Geist, versammeln, denen der Ort ganz
gleichgültig ist; diese bilden das geistige Berlin. Der
durchreisende Fremde sieht nur die langgestreckten,
uniformen Häuser, die langen, breiten Straßen, die
nach der Schnur und meistens nach dem Eigenwillen
eines einzelnen gebaut sind und keine Kunde geben
von der Denkweise der Menge. Nur Sonntagskinder
vermögen etwas von der Privatgesinnung der Einwohner zu erraten, wenn sie die langen Häuserreihen betrachten, die sich, wie die Menschen selbst, voneinander fernzuhalten streben, erstarrend im gegenseitigen
Groll. Nur einmal, in einer Mondnacht, als ich etwas
spät von Lutter und Wegener heimkehrte, sah ich, wie
jene harte Stimmung sich in milde Wehmut aufgelöst
hatte, wie die Häuser, die einander so feindlich gegen
übergestanden, sich gerührt baufällig christlich anblickten und sich versöhnt in die Arme stürzen wollten, so daß ich armer Mensch, der in der Mitte der
Straße ging, zerquetscht zu werden fürchtete. Manche
werden diese Furcht lächerlich finden, und auch ich
lächelte darüber, als ich, nüchternen Blicks, den andern Morgen durch eben jene Straßen wanderte und
sich die Häuser wieder so prosaisch entgegengähnten.
Es sind wahrlich mehrere Flaschen Poesie dazu nötig,
wenn man in Berlin etwas anderes sehen will als tote
Häuser und Berliner. Hier ist es schwer, Geister zu
sehen. Die Stadt enthält sowenig Altertümlichkeit und
ist so neu; und doch ist dieses Neue schon so alt, so
welk und abgestorben. Denn sie ist größtenteils, wie
gesagt, nicht aus der Gesinnung der Masse, sondern
einzelner entstanden. Der große Fritz ist wohl unter
diesen wenigen der vorzüglichste; was er vorfand, war
nur feste Unterlage, erst von ihm erhielt die Stadt
ihren eigentlichen Charakter, und wäre seit seinem
Tode nichts mehr daran gebaut worden, so bliebe ein
historisches Denkmal von dem Geiste jenes prosaisch
wundersamen Helden, der die raffinierte Geschmacklosigkeit
und blühende Verstandesfreiheit, das Seichte
und das Tüchtige seiner Zeit, recht deutsch-tapfer in
sich ausgebildet hatte. Potsdam z.B. erscheint uns als
ein solches Denkmal, durch seine öden Straßen wandern wir wie durch die hinterlassenen Schriftwerke
des Philosophen von Sanssouci, es gehört zu dessen
uvres posthumes, und obgleich es jetzt nur steinernes Makulatur ist und des Lächerlichen genug enthält,
so betrachten wir es doch mit ernstem Interesse und
unterdrücken hie und da eine aufsteigende Lachlust,
als fürchteten wir, plötzlich einen Schlag auf den
Rücken zu bekommen, wie von dem spanischen
Röhrchen des Alten Fritz. Solche Furcht aber befällt
uns nimmermehr in Berlin, da fühlen wir, daß der
Alte Fritz und sein spanisches Röhrchen keine Macht
mehr üben; denn sonst würde aus den alten, aufgeklärten Fenstern der gesunden Vernunftstadt nicht so
manch krankes Obskurantengesicht herausglotzen,
und so manch dummes, abergläubisches Gebäude
würde sich nicht unter die alten skeptisch philosophischen Häuser eingesiedelt haben. |