Die symbolische Bücherverbrennung im Mai war eine
Zeitungsnachricht gewesen, aber wirklich und unheimlich
war, daß nun die Bücher aus den Buchhandlungen
und Bibliotheken verschwanden Die lebende deutsche Literatur,
so gut oder schlecht sie sein mochte, war wegrasiert. Die
Bücher des letzten Winters, zu denen man vor
April noch nicht gekommen war, würde man nicht mehr
lesen. Ein paar Autoren, die man aus irgendeinem Grunde
geduldet hatte, standen einsam wie Kegelkönige im Leeren. Im
übrigen gab es nur die Klassiker - und eine plötzlich wild
aufschießende Blut- und Bodenliteratur voll entsetzlicher
und beschämender Qualität. Die Bücherfreunde
- gewiß nur eine Minderheit in Deutschland, und, wie sie
jetzt täglich hören durften, eine höchst unbeachtliche -
sahen sich über Nacht ihrer Welt beraubt. Und da man
sehr schnell begriffen hatte, daß jeder Beraubte obendrein
Gefahr lief, bestraft zu werden, fühlten sie sich gleichzeitig
sehr eingeschüchtert und schoben ihre Heinrich Manns
und Feuchtwangers in die zweite Reihe des Bücherschranks; und
wenn sie noch wagten sich über den letzten
Joseph Roth oder Wassermann zu unterhalten, steckten sie
die Köpfe zusammen und flüsterten wie Verschwörer.
Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914 - 1933. Stuttgart/München 2000, Seite 182 f. |