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1. Die Fürsten . . . herrschen nicht aus anvertrauten, sondern aus eigenen Rechten (nicht iure delegato, sondern iure proprio). Es ist ihnen keine Gewalt von dem Volk übertragen worden, welche es mithin nach bloßer Willkür zurückfordern oder in andere Hände legen könnte, sondern sie besitzen diese Macht und die damit verbundene höhere Freiheit durch sich selbst, entweder von der Natur, wie alles Angeborene, oder durch rechtmäßige Anwendung eigener Kraft (die Frucht des Angeborenen) oder endlich durch Wohltaten und Privatverträge wie alles Erworbene.

2. Sie sind also nicht von dem Volk gesetzt oder geschaffen, sondern sie haben im Gegenteil dieses Volk (die Summe aller ihrer Untergebenen) nach und nach um sich her versammelt, in ihren Dienst aufgenommen, sie sind die Stifter und Väter dieses wechsel­seitigen Verbandes. Das Volk ist ursprünglich nicht vor dem Fürsten, sondern im Gegen­teil der Fürst vor dem Volk, gleichwie der Vater vor seinen Kindern, der Herr vor den Dienern, überall der Obere vor den Untergebenen, die Wurzel und der Stamm vor den Ästen, Zweigen und Blättern existiert.

3. Die Fürsten sind nicht Administratoren1 eines gemeinen2 Wesens, denn in einem herr­schaftlichen oder Dienstverhältnis ist keine Kommunität3, folglich kein gemeines Wesen; nicht die ersten Diener des Staates, denn außer ihnen ist der Staat nichts, ihre Selbstän­digkeit allein macht das gesellige Verband zum sogenannten Staate aus; nicht die obersten Beamten des Volkes, wodurch die Diener zu Herren und der Herr zum Diener gemacht würde, nicht bloß das Oberhaupt des Staates, wie etwa der Meyer4 in einer Gemeinde — . . . sondern die Fürsten sind selbständige Personen, unabhängige Herren, die gleich an­deren Herren wesentlich und nach den Regeln der Gerechtigkeit nicht fremde, sondern nur ihre eigene Sache regieren. Alle ihre Befugnisse müssen aus ihren eigenen Rechten erklärt und hergeleitet werden können, d. h. aus allgemeinen Menschenrechten, die ihnen so gut als den übrigen Sterblichen zukommen, und aus erworbenen Privatrechten, mit anderen Worten aus Freiheit und Eigentum . . .

4. Die Befugnis und die Ausübung jenes Regierens ist daher in ihren Händen ein Recht und nicht eine Pflicht, Denn jeder Mensch ist befugt, über eigene Sache zu herrschen, rechtmäßige Freiheit nach möglichsten Kräften auszuüben, anderen Menschen zu nützen und Hilfe zu leisten, mithin die Unabhängigen so gut als die, welche noch einen Oberen über sich haben. Nur die Art der Regierung ist eine Pflicht, darin nämlich, daß sie nicht fremde Rechte beleidige, sondern vielmehr fördere und begünstige. In diesem Sinn wird die fürstliche Gewalt mit Recht als ein von Gott erhaltenes Amt betrachtet, gleich wie die Kräfte und Talente der Privatpersonen auch ein von ihm anvertrautes Pfund5 genannt werden, das man zur Handhabung und Ausübung seiner Gesetze der Gerechtigkeit und des Wohlwollens gebrauchen soll. Und eben deswegen, weil ein Fürst im Grund nur eigene Sache verwaltet, so ist auch bei den unteren Beamten, die er zu seiner Erleichterung bestellt, der ihnen eingeräumte Anteil an der Regierung, gleichwie bei anderen Dienern, eine Pflicht gegen ihren Herren, nicht gegen das Volk, göttliche Gesetze (frühere und höhere Pflichten) immer vorbehalten, als denen die besonderen menschlichen stets sub­ordiniert6 sind. Gleichwie die Fürsten nicht von dem Volk geschaffen sind, so sind sie auch nicht allein für das Volk geschaffen, sondern vor allem aus und wesentlich für sich selbst wie jeder andere Mensch. Ebenso sind auch die Untertanen nicht allein für den Fürsten und seinen Nutzen vorhanden, sonst wären sie Sklaven und in ein solches Verband würde sich niemand freiwillig begeben. Die Verbindlichkeiten sind wechselseitig, im Dienste sucht jeder seinen Vorteil und hat daher die demselben entsprechenden Pflichten zu erfüllen. In rechtlicher Rücksicht, nach dem Gesetze des bloßen Rechtes ist jeder für sich selbst vorhanden, sein eigener Zweck, in moralischer aber, nach dem Gesetz der Liebe und dem Austausch wechselseitiger Wohltaten ist jeder für den anderen gemacht, der Herr für den Diener, der Diener für den Herren, der Starke für den Schwachen und der Schwache hinwieder für den Starken . . .

aus: Karl Ludwig von Haller *: Restauration der Staatswissenschaft, erschienen

1816 - 1834

* Informationen zum Autor: siehe Zusatzblatt!

1 Administrator: Verwalter

2 gemein: allgemein

3 Kommunität: Gemeinschaft

4 Meyer: Gutsverwalter

5 Pfund: Fähigkeit, Möglichkeit

6 subordinieren: unterordnen


Zusatzblatt:

Karl Ludwig von Haller


* 1. August 1768 in Bern, + 20. Mai 1854 in Solothurn;

Staatstheoretiker und Politiker;

1806 Professor für Staatsrecht und Geschichte in Bern;

1814-1820 Mitglied des Großen Rats von Bern;

konvertierte zum Katholizismus und verlor sein Amt;

seit 1825 im französischen Außenministerium tätig;

als entschiedener Gegner der Französischen Revolution fasste er seine Ideen in seinem Hauptwerk „Die Restauration der Staatswissenschaft“ (1816-34) zusammen, das der Epoche der Restauration den Namen gab.




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